Ganz Mensch sein
Radio IBYKUS
Die Kraniche des Ibykus
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Die Kraniche des Ibykus

Ausgabe #2 von Radio IBYKUS - Mitschnitt der Sendung vom 6. Februar 2025

Siggi Ober-Grefenkämper: Liebe Hörerinnen und Hörer von OS-Radio 104,8, an seinem angestammten Sendeplatz, dem ersten Donnerstag im Monat, begrüßt Sie am Mikro live aus Studio 2 Siggi Ober-Grefenkämper zur zweiten Ausgabe des neuen Bürgerfunkformates Radio IBYKUS. Zusammen mit meinem Kollegen Uwe Alschner übernehme ich für die nächsten 57 Minuten die Sendeverantwortung und spreche mit ihm ab heute und danach an jedem ersten Donnerstag im Monat über Themen aus den Bereichen Literatur und Musik, die dem Begriff Klassik zugeordnet werden können.

Und selbstverständlich wird unser Radiomagazin auch von einer passenden Erkennungsmelodie begleitet. Wir haben uns für Ausschnitte aus dem Schlusssatz der 9. Sinfonie von Beethoven entschieden, die Musik, die Sie beim Intro und Outro von Radio Ibikus hören werden.

Vielleicht gibt es einige Menschen aus der Hörerschaft, die beim Wort “Klassik” denken, “oh Gott, ist das eine trockene und langweilige Angelegenheit. Wen interessiert das heute noch?” Und ganz ehrlich, bis vor einigen Monaten habe ich noch genauso gedacht. Dann geschah allerdings etwas, was meine Meinung über Klassik komplett umgekrempelt und mich eines Besseren belehrt hat.

Was das war, werden Sie sicher noch im Verlauf der Sendung erfahren. Fakt ist, dass mein Kollege Uwe Alschner und ich Sie ab heute im Vier-Wochen-Rhythmus auf eine Reise durch verschiedene Epochen der Klassik einladen, bei der Sie erfahren werden, welche Erkenntnisse der großen Dichter, Denker und Komponisten auch noch in unserer Zeit faszinieren, begeistern und übertragen werden können, welches Potenzial Klassik birgt, und wie spannend es sein kann, sich damit zu beschäftigen und sich darüber zu unterhalten.

Zum Verlauf unserer Sendung noch folgende Information: Als kleine Verschnaufpause zwischen den Gesprächsblöcken spielen wir Stücke aus dem Bereich klassischer Musik, die mein Kollege Uwe Alschner für unsere Playlist zusammengestellt hat, natürlich aus seinem Repertoire.

Uwe, was hast du uns als ersten Titel mitgebracht? Ja, hallo lieber Siggi, hallo liebe Hörerinnen und Hörer. Ich habe uns mitgebracht einen Auszug aus Mendelssohns Sinfonie der Schottischen von den Hybriden. Dann hören wir uns den jetzt an.

[Musik]

Liebe Hörerinnen und Hörer, interessieren Sie sich für Klassik oder möchten mehr darüber erfahren? Wenn ja, haben Sie an diesem ersten Donnerstag im Monat um 18.03 Uhr bei OS Radio 104,8 genau richtig zugeschaltet. Denn im neuen Bürgerfunkformat Radio IBYKUS spricht unser Team über immer mehr in Vergessenheit geratenes Kulturgut aus den Bereichen Literatur und Musik dem Begriff Klassik zugeordnet werden können.

Und so geht es jetzt auch gleich los mit dem zentralen Thema der zweiten Ausgabe von Radio IBYKUS, in der Sie etwas über den Namensgeber unseres Magazins und eines seiner bedeutenden Werke erfahren werden. Hierfür öffne ich jetzt Mikro 2 und begrüße meinen Kollegen Uwe Alschner, der sich seit Monaten intensiv mit dem Thema Klassik beschäftigt hat.

Hallo Uwe, jetzt mal ganz offiziell “herzlich willkommen” in der zweiten Ausgabe von Radio Ibikus.

Uwe Alschner: Ja, vielen Dank, lieber Siggi. Auch von meiner Seite herzlich willkommen, und wir bitten, den kleinen technischen Lapsus zu entschuldigen. Die Musik war eben ein bisschen niedrig im Pegel, aber das werden wir beheben.

SO: Uwe, erklär doch bitte der Hörerschaft zum Einstieg und Verständnis, woraus deine Begeisterung für die Klassik entstanden ist, sozusagen dein Entwicklungsprozess. Denn du bist letztendlich derjenige, der meine Fragen beantwortet.

UA: Die Begeisterung ist entstanden als Folge einer Recherche zum Thema Transhumanismus, also ein sehr schweres, düsteres und auch negatives Thema, wie ich jedenfalls persönlich finde. Da war am Rande eines Aufsatzes, den ich übersetzt habe, ein Zitat von Friedrich Schiller enthalten. Und dieses Zitat ist aus den “Ästhetischen Briefen”, also aus den Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen. Darin spricht Schiller davon, dass “durch die Schönheit” wir “zur Freiheit kommen”. Und das ist etwas, was ich erst einmal emotional fand. Ich das sehr schön, sehr poetisch eben auch, aber auf der anderen Seite fand ich das dann ein bisschen … , ja, also ich habe nicht verstanden, wie meint er das, also sind das mehr als nur schöne Worte?

SO: Hätte ich auch nicht verstanden.

UA: Und dann habe ich begonnen, mich tatsächlich auch intensiver mit Friedrich Schiller zu beschäftigen, aber dann eben auch insbesondere mit dem Thema der Klassik, weil auch in den ästhetischen Briefen wird sehr viel über “die Alten”, also über die Klassik, insbesondere die griechische Klassik gesprochen. Inzwischen kennen wir dann auch noch andere Formen von Klassik, nämlich auch die von Schiller ja mitbegründete Weimarer Klassik.

SO: Und letztendlich, nachdem du meine Begeisterung für Klassik geweckt hast, stand für uns ja spontan fest, darüber ein neues Format bei OS Radio 104,8 ins Leben zu rufen. Und nachdem unsere Kollegen einen regelmäßigen Sendeplatz bewilligt hatten, fehlte uns allerdings noch ein Name für die Sendeanmeldung. Ja, meine Überlegungen dazu fanden schnelles Ende. Gott sei Dank, muss ich sagen, als du, Uwe, den Vorschlag gemacht hast, es Radio IBYKUS zu nennen, dem ich natürlich mit Freunden zugestimmt habe. Wie bist du auf den Namen “IBYKUS” gekommen?

UA: Ja, IBYKUS, also die ‘Kraniche des Ibykus’ ist eine Ballade von Friedrich Schiller, insofern ein bekanntes Gedicht, ein sehr bekanntes Gedicht, mit dem dich ja auch noch ein paar…

SO: Ja, da möchte ich auch gleich noch ein paar Worte zu verlieren, bevor wir nämlich in die Kraniche des Ibykus einsteigen.

UA: Also ein Gedicht, mit dem manche tatsächlich auch noch persönliche Erinnerungen verbinden, aber was ansonsten weitgehend aus dem Bewusstsein verschwunden ist. In der Schule wird es jedenfalls heute nicht mehr gelehrt, nicht mehr behandelt, weder der Text des Gedichtes selber noch etwa das Thema Versmaß oder Form eines Gedichtes.

Hier handelt es sich um eine Ballade. Es gibt andere Formen von Gedichten und dementsprechend sind das ja alles Themen, die auch in den Bereich klassischer Bildung fallen. Und diese klassische Bildung ist nach Schiller etwas, was die Erziehung des Menschen hin zu seinem vollen Potenzial, also jeder, der sein volles Potenzial entfalten möchte im Laufe seines Lebens, der sich zur Meisterschaft in welchem Bereich auch immer entwickeln möchte, der ist insofern nach Schiller auch gut beraten, sich mit der Schönheit zu umgeben. Das ist ein anderes Vokabel, aber im Kern behandelt die Klassik die ewigen Gesetze, die ewigen Werte, die universellen Werte.

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SO: Die guten Werte

UA: Die Schönheit, das Gute und das Wahre. Und die Tugenden ist ein anderer Begriff, beziehungsweise ist nicht ganz derselbe Begriff, aber es ist sehr, sehr verwandt. Und die Beschäftigung damit, die hilft beide Seiten der menschlichen Natur, nämlich die Empfindsamkeit, das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, Gesicht, also Auge, Ohr, Nase, Tastsinn, das ist die sinnliche Wahrnehmung und ist eine elementare Ebene unserer Menschlichkeit.

Aber daneben gibt es noch eine zweite, und das ist das Thema des Verstandes, der Ratio, des Denkens und auch der Vernunft als sozusagen nicht direkt deckungsgleiche, aber auch doch sehr verwandte Ebene. Die Vernunft ergibt sich aus der Verbindung von Verstand und auch Empfindung, also dem moralisch Richtigen, das Vernünftige. Und diese beiden Ebenen, die befinden sich... manchmal auch im Widerstreit miteinander. Das heißt, wenn man erlebt zum Beispiel, dass der Mensch auf einmal reagiert emotional, sei es mit Furcht oder sei es mit überschäumender Freude oder sei es mit rasender Wut. Das sind ja emotionale Grundzustände. Und in dem Moment ist dann mit Vernunft oder mit Verstand darauf nicht einzuwirken. Man kann da dann überhaupt nicht drauf einwirken.

Die Schönheit, die kann das. Umgekehrt genau das Gleiche: Wenn jemand nur im Kopf ist, dann ist er teilweise sogar irgendwann gar nicht mehr gut in der Lage, seine Empfindungen oder gar die Empfindungen von jemand anderem wahrzunehmen. Auch darauf wirkt die Schönheit. Und zwar positiv, sprich erhebend, also erbaulich.

Und das ist das, worum es Schiller ging, weil er hat diese ganze Thematik, die Briefe über die Ästhetische Erziehung des Menschen sind ja entstanden als Reaktion auf die Exzesse der Französischen Revolution, wo aus einem sehr hoffnungsvollen Ansatz, also Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, diese Werte, die auch Schiller vertreten hat, die wir, glaube ich, miteinander in dieser Gesellschaft alle vertreten, die in unserem Grundgesetz, wenn nicht explizit, dann doch implizit enthalten sind.

SO: Ja, klar.

UA: Die hat es da in Frankreich eben gegeben. Die sind entstanden aus einer feudalen Gesellschaft heraus, aber dann ist das Ganze umgeschlagen in einen Terror, in einen wirklichen Exzess von Gewalt und Schrecken, also “die Guillotine”. 40.000 Menschen. sind damals umgebracht worden.

Und dadurch ist auch ein großer Aderlass in Bezug auf das Potenzial der französischen Nation verloren gegangen. Und das ist das, was Schiller auch sehr, sehr bedauert. Und er sagt, das ist aber letztendlich kein Grund dagegen, für eine demokratische, also für eine aufgeklärte, vernünftige Gesellschaft und Gesellschaftsform und Regierungsform, für eine freie Gesellschaft in diesem Sinne, in dem tatsächlich auch der Mensch dann tun will, was wirklich vernünftig ist und sich nicht von anderen Dingen ablenken lässt, nur weil sie gerade mal nicht verboten sind. Das ist ja auch ein falscher Begriff von Freiheit. Jedenfalls, das ist der Hintergrund, vor dem diese ganze Debatte entstanden ist.

SO: Und das ist etwas, was ich glaube, was auch in der heutigen Zeit sehr viel aktueller ist, als man im ersten Moment denken mag. Es ist ja umso verwunderlicher, dass diese Materie fast von unseren Lehrplänen verschwunden ist. Aber ich glaube, das würde zu weit führen, wenn wir das Thema jetzt noch besprechen. Wie siehst du das?

UA: Naja, also in der Tat, das ist ein wichtiges Thema, wo man sich Gedanken machen kann, “warum ist es so, dass solche klassischen Inhalte, auch insbesondere jetzt gerade mal die Person Schiller, aber auch Goethe oder Heinrich Heine, andere große Vertreter der Klassik. Warum spielen die heute keine Rolle mehr? Warum glauben wir, dass das nicht mehr relevant ist, dass das gar überholt ist, dass das veraltet ist, altmodisch gar. Und da mag auf der einen Seite ein Argument erst einmal naheliegen, ja, wir leben halt in einer modernen Zeit. Es gibt Dinge, die die damals gar nicht kannten. Das stimmt.

Auf der anderen Seite ist gerade auch das etwas, wo ein... ein reifer Umgang, ein reifer Charakter wirklich notwendig ist, zum Beispiel um die Möglichkeiten, die technischen Möglichkeiten, die sich uns bieten, verantwortlich abzuwägen. Denken wir nur an das Thema Forschung. Der Mensch hat viele Dinge erforscht. Manche Dinge haben nicht nur einen positiven Nutzen. Insofern gehört da eine Reife, eine charakterliche Reife dazu. Und bei der Frage, ob man diese Dinge, die man machen kann, vom Potenzial her, auch machen sollte, ob das zu einem guten Ende führt, dazu ist eine gute charakterliche Persönlichkeit vonnöten. Und insofern gibt es auch da sehr starke Argumente dafür, diese Beschäftigung gerade jetzt in dieser Zeit weiterzuführen.

SO: Und wieder aufleben zu lassen vor allen Dingen.

UA: Genau, und ein anderer Punkt ist der, dass das alles auch dann eben mit der kreativen Vernunft zu tun hat. Denn es ist etwas, was auch mit einem Glauben an einen wie auch immer zu bezeichnenden Schöpfer, eine Schöpferkraft zu tun hat. Dies ist ausdrücklich eben nicht konfessionell zu verstehen. Aber ich habe die Tiefe Überzeugung, dass dieses Universum, diese Welt nicht zufällig entstanden sein kann, also schon gar nicht aus dem Nichts einfach so zufällig entstanden ist, das macht keinen Sinn. Wer das glaubt, der glaubt eben auch und hat dann auch wenig Argumente, wenn er anderen Glauben, naiven Glauben an einen Gott vorwerfen will. Das ist ein komplexes Thema, aber dieser Aspekt der kreativen Vernunft, der ist eben gerade auch bei der Klassik drin. Und das heißt, dieses Potenzial, was eine Nation, ein Land, eine Bevölkerung, aber eben vielleicht auch die ganze Gattung der Menschheit gut nutzen kann, was sie auch schon in der Vergangenheit, in der Geschichte der Menschheit genutzt hat, wo es erkennbare Sprünge, Entwicklungssprünge gegeben hat. Diese kreative Vernunft ist heute notwendiger denn je. Denn natürlich sind Probleme in der Welt vorhanden. Die hören wir immer wieder in den Nachrichten. Hier sind gerade eben welche über den Äther gegangen. Und stattdessen erleben wir, dass die heutige, ja, Meinung oder die herrschende Meinung, die publizierte Meinung sehr stark auf den Menschen einwirkt und suggeriert: “das ist alles so negativ, das ist alles so problembeladen, da gibt es keine andere Lösung dafür als ...”

So eine sehr starke Verengung auf eine scheinbar absolute Position, die sich aber dann wiederum auch überhaupt nicht mit den Grundlagen dieser gedanklichen Schule in Verbindung bringen lässt. Das heißt, wir brauchen Kreativität, um Kreativität gepaart mit charakterlicher, persönlicher Integrität und Reife, um innovative Lösungen zu entwickeln, die unsere Zivilisation sogar, oder eben auch nur jetzt mal unser Land, oder Europa, wie man es auch immer betrachten will, voranbringen auf einem Weg, der momentan ein bisschen beschwerlich aussieht.

Aber auch das ist dann eine Erkenntnis, solche schweren Zeiten hat es immer gegeben. Und die Beschäftigung mit Klassik, mit klassischer Dichtung, mit klassischer Musik, die hilft eben auch dabei, solche schwere Zeiten tatsächlich zu durchleben und dann weiterzumachen auf einem neuen Level.

SO: Jetzt verstehe ich deine Antriebsfeder, warum es dir auch so wichtig ist, über Klassik zu sprechen und vor allen Dingen allen Menschen nochmal dieses Thema Klassik nahezubringen. Aber wir machen jetzt erstmal eine kleine Verschnaufpause. Was hören wir jetzt? Was hast du uns noch mitgebracht?

UA: Ja, jetzt hören wir, und ich hoffe dann mit etwas mehr “Wumms” dahinter, einen Auszug aus Haydn's 94. Sinfonie.

SO: Liebe Hörerinnen und Hörer von US Radio 104,8, zurück in unserem Klassik-Bürgerfunk-Format Radio IBYKUS spreche ich, Sigi Ober-Grefenkämper weiter mit Uwe Alschner über ein Thema... aus dem Bereich Klassik, im speziellen Schiller und im ganz Speziellen über eine Ballade von ihm, und zwar die Kraniche des Ibykus.

Aber bevor ich Uwe jetzt dazu interviewe, möchte ich Ihnen noch meine kleine Geschichte zu die Kraniche des Ibykus erzählen. Ich habe mir die noch mal in Erinnerung gerufen und, das ist schon nicht unbedeutend für unsere Sendung, Ich glaube, es war 1972 in der 9. Klasse der Backhaus-Realschule in Osnabrück, als ich im Unterricht zum ersten Mal mit Schiller konfrontiert wurde.

Vermutlich stand das bei unserem Klassenlehrer, der uns in Deutsch undGeschichte unterrichtete, auf dem Lehrplan. “Das Kulturgut, die Gedichte, Balladen müsst ihr auswendig lernen. Punkt.” Klare Ansage. Warum Schiller zum deutschen Kulturgut zählt, habe ich nie erfahren. Um was es inhaltlich in seinen Werken geht, keine Ahnung. Darauf wurde nicht eingegangen.

Ich habe überhaupt nicht begriffen, was uns der Dichter mit seinen Zeilen sagen will. Die 23 Strophen mit jeweils 8 Versen von »Die Kraniche des Ibykus« auswendig lernen und vortragen, das war für unseren Lehrer die Hauptsache. Dazu kam, dass unsere Klasse zu einem Pflichtbesuch im Stadttheater Osnabrück verdonnert wurde, wo wir uns Schillers Drama »Die Räuber« ansehen mussten. Aus der Sicht von damals drei Stunden Langeweile pur.

Auf die Frage von einigen Mitschülern und mir, warum wir uns mit Schiller auseinandersetzen sollen, beziehungsweise wir den Stoff im Unterricht so durchnehmen sollen, beziehungsweise wir das auch besser erklärt haben möchten, erhielten wir folgende Antwort von unserem Klassenlehrer: “Ich merke schon, dass euch mein Unterricht überfordert und eure langen Haare euch über den Verstand gewachsen sind. Damit ist das Thema für euch beendet und ich habe keine Lust mehr, mit euch darüber zu diskutieren!” Wegen Verweigerung des Unterrichtsstoffes — und jetzt kommt's — mussten wir als Strafarbeit sage und schreibe fünfmal die Kraniche des Ibykus abschreiben, ansonsten drohte ein Schulverweis.

So war das damals. Ab diesem Zeitpunkt waren die Kraniche für mich ein rotes Tuch und ich wollte nichts mehr von Schiller und Co. wissen und hören. Und dann kamst du, Uwe, mit deinen Erklärungen zu dem großen Dichter und Denker. Und ich begriff annähernd, welche Interpretationsmöglichkeiten seine Werke bieten, welche bis in die heutige Zeit übertragbaren Erkenntnisse die Werke von Schiller beherbergen.

So, und nun bin ich gespannt auf deine Sichtweise von Die Kraniche des Ibykus. Erklär doch zunächst, um was geht es eigentlich in dieser Ballade.

UA: Naja, vielleicht fangen wir damit an, dass wir das Thema der “Ballade” ansprechen. Also es ist eine Ballade und Schiller hat sie 1797 verfasst. Das war das sogenannte “Balladenjahr”, nämlich das Jahr, in dem er sich... damals dann schon in Jena, also im heutigen Thüringen, damals in Sachsen-Ernestinischen Diensten aufgehalten hat, als Professor an der Universität. Und er war mit Goethe befreundet. Goethe war Minister in Weimar, in der Hauptstadt.

Und das ist etwas, wo dann die beiden sich... auch ganz speziell dem Thema der Ballade, der klassischen Ballade gewidmet haben, indem sie zunächst einmal diese klassischen Stoffe, Aischylos und die ganzen griechischen Dichter studiert haben. Sie haben selber untersucht: was ist da drin, wie sind die zu charakterisieren, Gesetzmäßigkeiten, Reim, Versmaß und dergleichen.

Aber dann eben auch, was ist eine Ballade? So eine Ballade ist eine Mischung aus dramatischen, lyrischen und die dritte Kategorie entfällt mir jetzt gerade im Eifer des Gefechtes. Das heißt, es sind unterschiedliche Elemente, die allesamt mit Dichtung zu tun haben. Die sind da vereinigt. Es gibt also eine Handlung…

Lyrisch, episch und dramatisch. Episch ist dann das Thema “Heldengeschichte” und dramatisch ist einfach eine ganz normale Handlung. Nicht eine ganz normale Handlung, sondern eine Handlung, die sich abspielt, die ebenfalls etwas beinhaltet. Und hier ist es ein Mord. Also Ibykus, ein großer hellenischer Dichter, der im ganzen Land, in ganz Griechenland, angebetet wurde für seine Fähigkeit, Dichtung...

SO: Also kommt das jetzt aus der griechischen Klassik, Ibikus, der Name Ibikus?

UA: Ibykos heißt es eigentlich, latinisiert ist es Ibykus. Ibykus ist der Dichter. Einer der Dichter in der klassischen griechischen Antike. Und der, wie gesagt, wird ermordet, während er sich auf dem Weg zu einem Fest, einem Nationalfeiertag befindet. Und er wird ermordet in einem dunklen Hain.

Er ist vorher guter Dinge, das Gedicht beschreibt es dann eben auch, eine schöne Beschreibung der Stimmung.

Und aus den Briefen zwischen Schiller und Goethe wissen wir, wie diese Stimmung eben auch diskutiert worden ist.

SO: Ach, da gab es Schriftverkehr über das.

UA: Genau, die beiden haben sich da intensiv darüber ausgetauscht, wie sie sich über viele Werke ausgetauscht haben. Nur in diesem Fall wissen wir es, weil sie... das gemacht haben durch Briefe, da Goethe auf Reisen war. Und dementsprechend haben wir da einen ganz genauen Beweis davon, wie das sozusagen auch Fortschritte gemacht hat.

Das Gedicht selber ist nicht mehr in den frühen Fassungen überliefert, aber die Inhalte des Diskurses, der Diskussion, des Schriftwechsels, die lassen eben Rückschlüsse darauf zu, dass sich dieses Gedicht tatsächlich entwickelt hat, insbesondere eben auch zum Beispiel, dass die Stimmung richtig ausgearbeitet worden ist.

So eine Ballade hat auch, dann wieder die Besonderheit, mehrere Strophen, alle mit jeweils acht Versen.

SO: In diesem Fall 23.

UA: Genau, das weißt du. Und das ist dann eben ein Charakteristikum auch von einer Ballade.

Und so, und da wird eben Ibykus ermordet, ohne dass es Zeugen gibt, außer einem Schwarm Kraniche, der ihm vorher schon aufgefallen war, mit dem ihn einiges verbindet, weil auch die Kraniche sind Reisende und wie er eben auch ein Reisender ist, ein Dichter, der von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt gegangen ist, um dort Kultur und Lyrik und Beziehungsweise Poesie vorzutragen. Poesie übrigens griechisch heißt Produktivität. Das ist etwas, was dann da beschrieben wird.

Ohne Zeugen wird Ibikos ermordet und trotzdem wird hinterher Gerechtigkeit walten. Und das ist eben der moralische, der charakterliche, der aufbauende Bestandteil dieses Gerichtes. Weil Schiller dann angelehnt an griechische Balladen, an griechische Epen da die Kraniche dazu bringt, dass sie den Mörder überführen, beziehungsweise der Mörder überführt sich selber, weil er in einem klassischen Theater, wo er dann zu Gast ist, wo unten eine klassische kulturelle Veranstaltung mit auch noch den Rache-Göttinnen stattfindet, wo dann oben der Täter ruft: “sieh da, Timotheus, die Kraniche des Ibykus!”, und damit ist allen klar: “Wie kommt er jetzt darauf auf Ibykus? Was hat das zu bedeuten?” Und so wird er dann überführt.

SO: Das heißt, es ist ein Spannungsbogen da drin, es ist eine Geschichte da drin, eine Spannung, Moral. Aber zunächst ja Drama, Tragödie, wie das in Griechenland ja auch der Fall war.

UA: Ja, also die Tragödie ist etwas, was auch erbaulich ist.

SO: Erbaulich?

UA: Ja. Also eine Tragödie, wenn sie passiert, ist sie für die Betroffenen natürlich nicht sehr erbaulich, weil sie eben einen tragischen Verlauf nimmt. Aber das, was aus der Tragödie oder was in der Tragödie dann stattfindet, für den Betrachter ist sehr erbaulich. Es ist emotional bewegend…

[Husten]

SO: Nimm einen kleinen Schluck, damit wir in Ruhe und ohne Hustenatfall weitersprechen können.

UA: Die Luft im Studio ist sehr trocken.

SO: Ja, ja, die ist es, wirklich.

UA: So, dass da dann auch die Lehre gezogen werden kann. Ich habe den Faden noch jetzt verloren. Ja. Ich habe gesagt, Drama, Tragödie, wie das aus griechischen Stoffen oft so hervorgeht. Und darauf hast du eben aufgebaut. Danke. Die Tragödie ist erbaulich, weil durch die Betrachtung dessen, was da geschieht, die Zwiespältigkeiten, die sich in den handelnden Personen auftun.

Also Hamlet beispielsweise ist ein berühmtes Beispiel. To be or not to be. Hamlet ist in seinem Selbstmitleid, seinem Selbstzweifel gefangen. Das ist dann Shakespeare. wie die meisten Hörer wissen. Und er vergisst die Situation, in der er sich befindet, in der auch sein Land, Dänemark, sich befindet, tatsächlich sich vor Augen zu führen und das zu tun, was zu tun wäre. Er vertrödelt sozusagen, er spielt mit dem Schicksal und dann nimmt die Tragödie ihren Lauf. Und indem man das darstellt auf der Bühne in seiner Schönheit, also mit allen künstlerischen Qualitäten einer guten Dichtung, dann kann da ein Transfer, ein Know-how-Transfer, ein sittlicher Transfer stattfinden auf den Betrachter, dessen Empfindsamkeit und dessen Vernunft gleichermaßen angeregt wird. Auf das dann in ähnlichen oder in anderen tragischen oder potenziell tragischen Situationen auch charakterliche Festigkeit dann vorhanden sein mag. Vielleicht auch Entschlusskraft.

Zum Beispiel bei Wallenstein ist genauso ein Fall, das dann in dem Fall von Schiller ist. Auch da ist eine Tragödie, weil Wallenstein, der den Frieden bringen kann im Dreißigjährigen Krieg, letztendlich dann doch nicht handelt und insofern auch da das Unheil weiter seinen Lauf nimmt. Darum geht es in der Tragödie.

SO: Ja, also ich finde das total spannend, was du erzählst. Nimm du mal jetzt noch einen Schluck und dann können wir uns deinen nächsten Musiktitel anhören.

Ich weiß ja gar nicht, was du mitgebracht hast.

UA: Wir hören nochmal in die 94. [von Haydn] rein und hören die zuende.

SO: Ja, gerne.

[Musik]

SO: So, liebe Hörerinnen und Hörer von OS Radio 104,8, jetzt haben wir der trockenen Luft hier im Studio 2 mit einem Schluck Wasser entgegengewirkt und können wieder über die Kraniche des Ibykus sprechen. Uwe, es gibt ja verschiedene Figuren, die du eben schon angesprochen hast. Es gibt den Ibykus, wenn ich verstanden habe, ist das ja ein Held, wie auch immer, dann haben wir den Mörder und dann haben wir die Kraniche.

Wenn es einen Helden gibt, gibt es doch auch Menschen, die den verehren. Das heißt, was spielt das Volk für eine Rolle in der Ballade?

UA: Das Volk spielt da erstmal nur eine eher passive Rolle. Es ist ja auch nicht zugegen, als der Mord geschieht. Das Volk spielt eine Rolle insofern, dass es die Tradition aktiv pflegt. Das heißt, diese Feste werden gefeiert, man kommt zusammen. Und man befindet sich im Theater.

Also die Szene ist ein klassisches griechisches Amphitheater, also in der Natur, frei, aber dann durch die Architektur, durch den geschwungenen Bogen, der sozusagen nach hinten immer weiter ausgreift. Unten ist es ein kleiner Kreis und oben in den hohen Rängen ist es dann ein großer Kreis, wo viele Menschen in dem großen Bogen ssitzen und auf die Bühne schauen und trotzdem aber durch die Akustik gut verstehen, was da unten passiert. Und da findet dann eben dieses klassische griechische Schauspiel statt, auch zum Zweck der Erbauung, auch zum Zwecke der Pflege von bestimmten Werten.

Das ist eben das, worum es dann im antiken Griechenland ging und beziehungsweise jetzt auch Schiller in dieser Schilderung dann ging. Und so ist es dann hier, dass das Volk da eine passive Rolle hat. Aber dann, als sich der Mörder eben dann verrät, gegen Ende der Ballade, durch die Kraniche, die er selber, da er oben sitzt, auf den billigen Plätzen, sieht er die Kraniche schon von Weitem heranziehen, wo unten im Theater selber noch gar keine Ahnung davon herrscht. Dann aber, nachdem er das rausgerufen hat, “sieh da, Timotheus, die Kraniche des Ibykus”, Timotheus ist sein Mörderkumpan, der den Ibykus mit erschlagen hat.

Nachdem er den so anspricht und sich dadurch verrät, dass es etwas ist, was mit dem Ibykus und damit eben auch wahrscheinlich mit dem Tod verbunden ist, wird das Volk dann doch sehr aktiv und nimmt dann diesen Verbrecher dann auch fest und führt ihn dann vor Gericht und damit seiner gerechten Strafe zu.

Dieses Ende wird sehr knapp dann behandelt, da geht es Schiller gar nicht mehr darum, weil es sagt, die Pointe ist da. Der springende Punkt liegt offen zu Tage und damit hat der Poet, der Dichter, dann in dem Fall für die Ballade seine Schuldigkeit getan. Der Rest ist dann der Fantasie des Betrachters überlassen.

SO: Nochmal ganz kurz, die Kraniche haben den Mord von Ibikus gesehen. Ja, genau. Und ich glaube, das wird auch in der Ballade gut beschrieben. Magst du uns da was draus vortragen?

UA: Ja, also klar, das mache ich gerne. Die Ballade beginnt, ganz klassisch:

Die Kraniche des Ibykus
Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Korinthus‘ Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll,
So wandert‘ er, an leichtem Stabe,
Aus Rhegium, des Gottes voll.
Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Südens Wärme
In graulichtem Geschwader ziehn.
»Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen!
Die mir zur See Begleiter waren,
Zum guten Zeichen nehm ich euch,
Mein Los, es ist dem euren gleich.
Von fernher kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen,
Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!«
Und munter fördert er die Schritte
Und sieht sich in des Waldes Mitte,
Da sperren, auf gedrangem Steg,
Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand,
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.
Er ruft die Menschen an, die Götter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter,
Wie weit er auch die Stimme schickt,
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
»So muß ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch böser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Rächer mir erscheint!«
Und schwer getroffen sinkt er nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder,
Er hört, schon kann er nicht mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krähn.
»Von euch, ihr Kraniche dort oben!
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag erhoben!«
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Und dann ist er tot. Und die Geschichte geht weiter. Die Menschen sind entsetzt über dieses Verbrechen.

Dann geht es aber weiter, dass das Theater dann sich füllt und das Leben dann seinen Lauf nimmt. Und zum Schluss heißt es dann eben, also es treten auch die Rachegöttinnen in diesem Stück unten auf, die dann auch sagen, dass jemand, der einen Mord begangen hat, sich...

SO: Ich wollte nämlich fragen, geht es denn ohne Rache und Vergeltung in dem Stück?

UA: Es geht nicht ohne Gerechtigkeit jedenfalls.

SO: Oder Gerechtigkeit ist besser ausgedrückt, ja.

Goethe und Schiller

Und die treten auf und dann geht es eben, schreibt Schiller diese Stimmung und die beschreibt er, nachdem Goethe ihn darauf hingewiesen hat, das könnte noch ein bisschen... Mehr Stimmung vertragen, nachdem die Rache-Göttinen, die Erinnyen aufgetreten sind, heißt es dann:

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
Noch zweifelnd jede Brust und bebet
Und huldiget der furchtbarn Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht,
Die unerforschlich, unergründet
Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,Dem tiefen Herzen sich verkündet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.
Da hört man auf den höchsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
»Sieh da! Sieh da, Timotheus,Die Kraniche des Ibykus!« –
Und finster plötzlich wird der Himmel,
Und über dem Theater hin
Sieht man in schwärzlichtem Gewimmel
Ein Kranichheer vorüberziehn.
»Des Ibykus!« – Der teure Name
Rührt jede Brust mit neuem Grame,
Und, wie im Meere Well auf Well,
So läufts von Mund zu Munde schnell:
»Des Ibykus, den wir beweinen,
Den eine Mörderhand erschlug!
Was ists mit dem? Was kann er meinen?
Was ists mit diesem Kranichzug?« –
Und lauter immer wird die Frage,
Und ahnend fliegts mit Blitzesschlage
Durch alle Herzen. »Gebet acht!
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Mörder bietet selbst sich dar!
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
Und ihn, an dens gerichtet war.«
Doch dem war kaum das Wort entfahren,
Möcht ers im Busen gern bewahren;
Umsonst, der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
Die Szene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die Bösewichter,
Getroffen von der Rache Strahl.

SO: Sag mal, wenn ich das jetzt richtig verstehe, wird das Verbrechen praktisch durch göttliche Fügung aufgedeckt? Das lässt Schiller offen, das ist erstmal Schicksal. Ich weiß nicht, haben wir irgendeinen Symbolcharakter? denke ich mir.

UA: Ja, sie haben einen Symbolcharakter schon in gewisser Weise, aber darüber unterhalten sich dann eben auch Schiller und Goethe mit ihren weiteren Gesprächspartnern, also Wilhelm von Humboldt übrigens ist dabei und Christian Körner, der Freund von Schiller, die unterhalten sich darüber, dann auch darüber zum Beispiel, dass es hier gar nicht darauf ankommt, ob es jetzt dieselben Kraniche sind oder ob nur einfach die Kraniche als rhythmisches, saisonales Muster. Sie ziehen Jahr ein, Jahr aus, immer ihre Wege erst rauf nach Norden, dann wieder runter nach Süden in die Wärme. Das heißt, da kommt es jetzt gar nicht so sehr darauf an.

Und da jetzt einen bestimmten Gott und eine bestimmte göttliche Macht da konkret zu bemühen, das ist dann vielleicht auch zu profan und zu naheliegend. Da wird dann viel eher erst das offengelassen, aber es wird eben in eine wunderschöne poetische Stimmung gekleidet und damit dann auch transportiert, dass schon beim Betrachter zurückbleibt eine gewisse Ruhe: “Okay, Gerechtigkeit nimmt dann doch ihren Lauf, auf welchem Wege auch immer. Die Wege des Herrn sind unergründlich.

SO: Was ist denn für dich das, Wirklich Besondere an diesem Werk. Ich meine, du beschäftigst dich gerne mit Schiller. Du hast die ästhetische Erziehung des Menschen. Ich glaube, das sind 27 Hefte, dir aus dem Antiquariat besorgt. Und das ist ja schon eine Ansage. Das ist ja im Grunde genommen wie ein Studium. Und jedes Gedicht, wenn ich dich richtig verstanden habe, hat für dich etwas Besonderes. Eine Aussagekraft. Wir haben schon andere griechische Tragödien gehört. In diesem Falle benutzt Schiller den Ibykus oder so. Wie siehst du das denn?

UA: Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Es geht gar nicht so sehr darum, ob da jetzt ein bestimmtes Gedicht zu einer bestimmten Situation passt. Das ist manchmal schon der Fall, aber es geht eben auch nicht nur um Gedichte, es geht ja auch um Dramen. Wilhelm Tell haben wir eben erwähnt, das ist ein ganz komplexes Drama mit vielen Beteiligten. Es geht eher darum, dass es vor allen Dingen darauf ankommt, sich mit diesem Thema der Schönheit, der Klassik, der klassischen Werte, der universellen Werte auseinanderzusetzen.

SO: Nicht an ein Werk gefesselt letztendlich, sondern in der Allgemeinheit, was du ja erklärt hast auch im letzten Jahr.

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UA: Genau. Und nicht alles, was alt ist, ist Klassik. Das ist auch so. Und Schiller hat auch seine Gegner. Darüber können wir in den zukünftigen Sendungen nochmal vielleicht ausführlicher sprechen. Also das heißt, jemand, der so lebensbejahend, so menschenfreundlich ist, der so an die Gleichheit aller Menschen glaubt, allerdings auch an die Notwendigkeit, dass sich jeder Mensch seiner eigenen Verantwortung bewusst wird und dass das dazu auch einer guten Bildung benötigt…

SO: Ist das eine Botschaft von Schiller, entschuldige, dass ich unterbreche? Die Gleichheit aller Menschen?

UA: Das ist ja eine... Dazu musste sie ja nur die Oder an die Freude zu Gemüte führen. Das ist eines der berühmten Gedichte von Schiller. Das ist eins, das dann Ludwig von Beethoven nach langen Jahren endlich vertonen konnte, wo er dann mit seinem eigenen Anspruch verspricht. zufrieden war, ja, Freude schöner Götterfunken, und da heißt es im Chor, heißt es dann, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt. Das ist der Götterfunken, das ist die Güte, die Tugend, die da wirkt, die Schönheit im Wesentlichen, ja. Und da werden alle Menschen zu Brüdern und hören mit den Feindseligkeiten auf, erkennen, dass es gar keinen Sinn macht, das Trennende herauszuheben, sondern in der Vielfalt, in der Mannigfaltigkeit liegt ja dann auch das Potenzial der menschlichen Gattung und der Schöpfung insgesamt begründet. Und davon ist Schiller sehr, sehr tief überzeugt.

SO: Uwe, dann würde ich gerne noch ein bisschen Musik hören. bevor wir weitersprechen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt. Ich habe jetzt nicht auf die Uhr geguckt. Das ist schon wieder so schnell vergangen. Lass uns nicht zu viel reden.

UA: Wir haben jetzt nicht direkt ein klassisches Stück. Es ist allerdings auch mit Orchesterbegleitung. Es ist ein Lied über die Kraniche. Und die russische Kultur hat ein wundervolles Lied sozusagen gewonnen. Mitte des letzten Jahrhunderts. Ein Lied über die Kraniche als Symbol der für den Schmerz und für die Melancholie durch die Opfer des Zweiten Weltkriegs.

Das möchte ich gerade in dieser jetzigen Zeit spielen, wo wir auch das Verbindende in den Vordergrund stellen müssen, meine ich, und nicht das Trennende. Im Kern ist dieses Lied so etwas wie, auch Russians (love their children too), das ist ja glaube ich, Sting, wo man das im Westen gesungen hat, hier ist jetzt mal die russische Version.

SO: Liebe Hörerinnen und Hörer von OS Radio 104,8, unser Klassikformat Radio IBYKUS neigt sich zwar dem Ende zu, aber eine Frage habe ich vergessen an meinen Kollegen Uwe Alschner zu stellen. Ich erwähnte, dass wir als In- und Outro, das heißt am Anfang und Ende unserer Sendung, als Erkennungsmelodie Ausschnitte aus dem Schlusssatz der 9. Sinfonie von Beethoven hören.

Uwe, wie bist du auf diese Idee gekommen? Du machst ja nichts ohne Grund.

UA: Das ist eine Behauptung, die würde ich mir so gar nicht zu eigen machen. Es tut schon gut, Bewusstsein dafür zu haben, was man macht, aber ich glaube, manchmal geht es jedem von uns, dass das stärker ausgeprägt sein könnte, bei mir jedenfalls ist das so.

Ich würde gerne noch, bevor ich diese Frage beantworte, noch einen Satz zu diesem Song eben sagen. Ich bin mir bewusst, das ist natürlich eine schwierige Situation jetzt. Das war ein russisches Lied. Wir haben sehr, sehr schwierige Zeiten, spannungsgeladene Zeiten, auch mit Russland. Ich will da überhaupt nichts beschönigen. Der Krieg, der in der Ukraine tobt, der ist tatsächlich unmenschlich und den verurteile ich.

Allerdings ist das Thema Tragödie auch in dieser Hinsicht, glaube ich, angemessen, weil es der Warnungen viele gab, der Warnungen von russischer Seite auch an den Westen, dass die Sicherheitsinteressen Russlands beachtet werden müssen. Bereits 2007 hat der russische Präsident das auf der Münchner Sicherheitskonferenz klar gesagt, dass Russland “rote Linien” hat, was die Sicherheitsinteressen angeht. Und die sind dann bei Russland nicht anders als beispielsweise bei den USA, wo wir 1962 auch die Kuba-Krise hatten, und wo auch andere Situationen immer wieder da sind, wo rote Linien gezogen werden, Ultimaten gesetzt werden.

Das heißt, hier ist ganz klar nicht erkannt worden, wie die Möglichkeit gegeben gewesen ist, um ein Problem zu bereinigen. Und auch jetzt sollten wir unseren Fokus darauf setzen, das Gespräch zu suchen, die Verhandlungen zu suchen, um diese Tragödie zu beenden. Und das gilt für andere Kriegsschauplätze genauso.

Und jetzt noch die Frage zu unserer Erkennungsmelodie. Damit hat sie insofern was Besonderes auf sich, weil die ist in der Aufnahme, wie wir sie verwenden, in einer Stimmung, einer ganz bestimmten Stimmung aufgenommen. Und Stimmung heißt in diesem Sinn, wenn ein Konzert beginnt, dann machen die Musiker eben…, dann wird der Ton angegeben, dann wird das A angegeben … die Oboe macht das dann meistens oder eben auch die Violine.

Und dieser Ton hat eine bestimmte Frequenz mit bestimmten Schwingungen und diese Schwingung hat sich im Laufe der Zeit immer höher verändert.

SO: Also das ist die Stimmung.

UA: Das ist dann die Stimmung. Es wird gestimmt auf einen letztendlich immer höheren Ton. Und dieser Ton wird es erstens nicht mehr dann so nah an der menschlichen Stimme, wo alle Instrumente letztendlich im modernen Bel Canto sind. angelegt sind, auch die Geige als Instrument, was am besten die Modulationsfähigkeit der menschlichen Stimme nachzuahmen vermag. Und je höher das wird, desto schwieriger wird es insbesondere für die Gesangsbegleitung, dem zu folgen.

J.J. Quantz, Königl. Preußischer Kammermusikus, in seinem 1752 erschienenen Buch über die Stimmung des Kammertons

Nun hat sich aber in den Jahren seit 1815 dieses immer weiter nach oben geschoben, dass bestimmte Vorgaben gemacht worden sind, die die Töne noch höher zu drehen, noch höher zu drehen. Und das ist ein Problem für die Sänger, aber eben auch ein Problem für die Kraft der Musik, weil bestimmte Harmonien, klassische Harmonien, von denen insbesondere Johann Sebastian Bach, der jetzt nicht klassisch in dem Sinne zeithistorisch in die Zeit von Schiller ist, sondern nochmal 100 Jahre vorher, aber der insbesondere diese wohltemperierte Stimmung ja wissenschaftlich virtuos ausgearbeitet hat. Und das ist etwas, was da tatsächlich eben im Zentrum stand. Und deswegen habe ich dieses besondere Stimme ausgearbeitet.

Okay, damit sind wir auch schon am Ende.

[Musik]

UA: das war's, liebe Hörerinnen und Hörer, die zweite Ausgabe von Radio Ibikus hier bei OS-Radio 104,8. Unsere nächste Sendung wird wieder kommen am 6. März 2025 um 18.03 Uhr nach den Nachrichten . Wir freuen uns, wenn Sie dann wieder einschalten. Wir danken unserem Kollegen Frank Paul für die Unterstützung auch bei dieser Sendung. Und Schnitt, das ist das, was Frank immer macht. Vielen Dank! Den Kollegen von OS-Radio 104,8 danken wir auch für die Bereitstellung des Sendeplatzes im Rahmen des niedersächsischen Landesmediengesetzes.

Sie können diese Sendung nachhören, wenn Sie suchen. nach “Radio IBYKUS” oder auch auf ganzmenschsein.substack.com. Da ist dann auch die Sendung zum Download. Aber überall, wo Sie Podcasts hören und dort Radio IBYKUS suchen, da werden Sie uns finden. Bewerten Sie uns gerne und dann können wir auch andere Menschen dadurch besser erreichen. Vielen herzlichen Dank. Machen Sie es gut. Bis zum nächsten Mal!

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