Liebe Hörerinnen und Hörer von OS-Radio 104,8, herzlich willkommen zur fünften Ausgabe von Radio IBYKUS an seinem angestammten Sendeplatz, dem ersten Donnerstag im Monat. Wie wunderbar, dass unsere aktuelle Sendung auf einen Feiertag, den 1. Mai, fällt, und allen Interessierten Zeit zum Innehalten, Zeit zum Entspannen, Zurücklehnen und Zeit zum Radio hören lässt, um sich so mit den schönen Dingen des Lebens, wie zum Beispiel mit der Klassik zu beschäftigen. Mit dem neuen Format Radio IBYKUS, für das Uwe Alschner und ich Siggi Ober- Grefenkämper sendeverantwortlich sind, haben Sie ausreichend Gelegenheit dazu.
Unser Anliegen ist es, das in der heutigen Zeit sträflich vernachlässigte Thema Klassik wieder aufleben zu lassen, aufzuzeigen, wie viel Schönheit und Menschsein sich in Dramen, Balladen und Gedichten verbergen, wie viel Wissen aus der Vergangenheit in die Gegenwart transportiert werden kann und wie viel positive Energie sie daraus gewinnen können.
Und das sage ich aus gutem Grund. Denn noch vor einem halben Jahr hätte ich mir gar nicht vorstellen können, dass alte Schinken meine Begeisterung wecken und mich so faszinieren. Die zahlreichen Gespräche mit meinem Kollegen Uwe Alschner haben mich in der Zwischenzeit allerdings eines Besseren belehrt.
Alles fing mit dem Lied von der Glocke von Friedrich Schiller an. Als ich mir mit Uwe die Vertonung des Werkes von Friedrich Schiller anhörte, war da irgendetwas, das mich berührte und gleichzeitig meine Neugier auf mehr weckte. Da Uwe sich seit längerem mit der Klassik im Allgemeinen und insbesondere mit den Texten von Schiller und seinen 27 Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen beschäftigt, lag es nahe, sein erarbeitetes Wissen anzuzapfen. Mit dem Resultat, dass je häufiger wir darüber in den Dialog gingen, desto mehr Fragen tauchten für mich auf. Ich folgte Uwes Empfehlung, die lautete: “Fang doch mal an, dir nach und nach Schillers Briefe zu Gemüte zu führen und versuche zu verstehen, warum seine Werke zum Besten gehören, was die deutsche Dichtkunst zu bieten hat und vor allen Dingen, wie viel Aussagekraft dahinter steckt”. Gesagt, getan.
Ich fing an, Teile aus den Briefen zu lesen, bat Uwe aber auch gleichzeitig, mit mir das, was er bereits in vielen Stunden, ich sag's mal, studiert hatte, zu teilen, um mir den thematischen Einstieg auf diese Weise zu erleichtern. Ich kann zwar mittlerweile, ich betone noch nicht, in einen großen philosophischen Diskurs mit meinem Kollegen über Schillers Werke gehen. Ich stehe noch am Anfang, aber das kommt mit der Zeit, weil ich neugierig bin und ich fragen kann.
Mir geht es in der heutigen Sendung darum, einen generellen Einstieg in das Thema Klassik zu schaffen und im Dialog mit Uwe ein Verständnis für Klassik zu übertragen, herauszukristallisieren, wie gut es für uns Menschen ist, sich damit zu beschäftigen.
Daher lade ich Sie ein, auf eine Reise durch die Klassik Ich begrüße hierzu ganz herzlich meinen Kollegen. Hallo lieber Uwe, schön, dass du dich auch diesen Diskurs über Klassik und heute im Speziellen über Schiller und seine Werke einlässt. Bevor wir damit starten, verrate doch bitte der Hörerschaft, welchen Musiktitel aus deiner Playlist wir jetzt als erstes hören.
UA: Ja, hallo lieber Sigi, hallo liebe Hörerinnen und Hörer hier bei Radio IBYKUS. Also, wir hören jetzt und auch im Folgenden in der Sendung einige Auszüge aus Stücken von Carl Stamitz. Das ist ein Komponist, der auch ungefähr zur Zeit Schillers gelebt und gearbeitet hat. Und wir hören jetzt ein Klarinettenkonzert, das Klarinettenkonzert Nummer 3.
SO: Liebe Hörerschaft, im Mittelpunkt der neuesten Ausgabe des Klassik-Formates Radio IBYKUS mit mir, Siggi Ober-Grefenkämper und Uwe Alschner, steht der berühmte deutsche Dichter und Denker Friedrich Schiller, sein Leben und seine Werke. Um zu verstehen, warum mein Kollege Uwe Alschner ein adäquater Ansprechpartner für meine Fragen über Schiller ist, stelle ich zunächst eine persönliche Frage an ihn.
Uwe, wann und womit hat deine Reise in die Welt der Klassik begonnen? Was war der Auslöser, dass du dich seit fast einem Jahr mit klassischer Kunst und Bildung beschäftigst? Und das mit einer Begeisterung, muss ich sagen, die ansteckend ist.
UA: Na, erst einmal vielen Dank für die Blumen. Die sind teilweise ein bisschen zu üppig gesteckt, hätte ich fast gesagt. Das ist alles nur halb so dramatisch, würde ich sagen. Ich habe mich jetzt eine ganze Zeit damit beschäftigt, einfach weil es mir wichtig war. Wissen, hast du vorhin gesagt, also Wissen würde ich das erstmal nicht nennen, sondern es ist,… ja, das sind ein paar Erfahrungen, die ich gemacht habe, es ist ein bisschen auch was hängen geblieben ist vielleicht, aber gerade wenn du sagst, im Mittelpunkt stehe das Werk Schillers: das können wir gar nicht in einer Stunde behandeln und insofern ist es etwas, wo ich einfach nur möchte, dass die Hörerinnen und Hörer das nicht falsch verstehen, sondern vor allen Dingen mitnehmen, dass hier zwei Menschen im Radio sich über etwas unterhalten, was tatsächlich — das sehe ich auch so — einen viel zu geringen Stellenwert heute hat.
Und jetzt fangen wir mal an mit der Beantwortung der Frage, die du gestellt hast, wie ich dazu gekommen bin.
Das hat damit zu tun, dass ich im Rahmen von Recherchen, die ich für ein historisches Projekt gemacht habe, ein Projekt, was durchaus ein bisschen schwerer ist oder war, nämlich sich mit dem Thema Transhumanismus beschäftigt hat, also sozusagen die Verbindung zwischen Mensch und Technik, Mensch und Maschine, die ja inzwischen auch in Zeiten der künstlichen Intelligenz überall über den großen Klee gelobt wird, die ich persönlich für teilweise sehr, sehr bedenklich halte. Was nicht bedeutet, dass ich technikfeindlich bin. Aber dahinter steht ja ein Menschenbild, nämlich erstmal per se eine Annahme, dass der Mensch durch eine Verbesserung durch eine Schnittstelle mit technischen Geräten oder Programmensoftware oder Hardware verbessert werden kann. Und das halte ich für einen ziemlich kühnen Anspruch und auch einen Anspruch, der problematisch ist, weil er von einem starren Menschenbild ausgeht, in dem keine Entwicklung vorliegt, enthalten ist. Und dieses Thema Entwicklungsmöglichkeit ist nämlich das, wozu die Klassik tatsächlich viel wichtiger ist, als man es im ersten Moment glauben sollte.
Das mag jetzt scheinen wie eine Behauptung, aber das ist etwas, worüber ich inzwischen wirklich sehr viel gelesen habe, eben weil es mich fasziniert hat. Und deswegen kann ich es auch so sagen. Wie gesagt, ich bin eben über diese Beschäftigung mit Transhumanismus damals auf einen Text gestoßen, in dem als Schluss, quasi, ein positives Zitat, ein Abbinden war, ein Lichtblick, eben von Friedrich Schiller. Durch die Schönheit, …
“Es ist die Schönheit, durch welche wir zur Freiheit wandern.”
Und das ist ein Zitat eben aus den erwähnten Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen. Und dieses Zitat war einfach erstmal nur Balsam für eine Seele, die damals über das eben schwere Thema Transhumanismus, Eugenik, also Auslese und so weiter, … das hat mich doch ziemlich runtergezogen. Und da war dieses Zitat erstmal Balsam. Ich fand es trotzdem allerdings, ehrlich gesagt, im ersten Moment naiv, zu schön, und wahr zu sein. Habe aber dann gedacht, ich beschäftige mich mal ein bisschen näher damit.
Und das war dann wirklich ein tolles Erlebnis über eben jetzt mehrere Monate, inzwischen auch schon mehr als ein Jahr, bald zwei Jahre sind es. Intensive Beschäftigung mit nicht nur Schiller, aber eben auch Schiller.
Und gerade mit den ästhetischen Briefen habe ich mich sechs Monate auseinandergesetzt, um einigermaßen zu verstehen, was er damit wohl gemeint haben dürfte.
SO: Uwe, warum liegt denn einer deiner Schwerpunkte auf Schiller und seinen Briefen? Wer war Schiller? Ich glaube, das ist wichtig für die Hörerschaft, etwas über die Person Schiller zu erfahren, in welcher Zeit oder unter welchem Einfluss entstanden auch seine Werke.
UA: Naja, also gut, Friedrich Schiller ist insofern ja in Deutschland ein relativ bekannter Name oder der Nachname Schiller jedenfalls, weil fast in jeder Stadt irgendeine Straße oder irgendein Platz nach ihm benannt ist. Was ja nicht bedeutet, dass viele Menschen dann wissen, was es mit ihm auf sich hat.
Und das ist, will ich jetzt mal behaupten, wahrscheinlich eher auch nicht der Fall. Wenn man von Schiller hört, in der Schule vielleicht nochmal, obwohl es ist auch sehr viel weniger geworden, dann gilt er ja als bekannter Dichter, als Weggefährte von Johann Wolfgang von Goethe. Der ist natürlich wesentlich präsenter. Unser Kulturinstitut heißt ja auch nach Goethe, das Goethe-Institut.
Es heißt eben wahrscheinlich auch nicht aus Zufall nicht nach Schiller, weil die beiden hatten zwar eine Reihe von Gemeinsamkeiten, sie hatten aber auch ein paar Unterschiede. Und einer der Unterschiede, glaube ich, das kann man sagen, Schiller war sehr, sehr viel offensiver als Goethe. Der war ja auch Minister und eben Geheimrat und durchaus diplomatischer und künstlerisch natürlich auch sehr, sehr begabt. Die beiden haben sich auch sehr intensiv ausgetauscht. Aber nach außen hin ist Goethe nicht ansatzweise so angeeckt, wie Friedrich Schiller angeeckt ist.
Er ist eben ein ausgebildeter Mediziner, ursprünglich mal gewesen, stammt aus Baden-Württemberg, in Lorch am Neckar geboren und hat dann in Stuttgart zur Schule gehen müssen, auf die Hohe Karlsschule.
Und die Hohe Karlsschule war ein Vorzeigeprojekt des damaligen Herzogs von Württemberg, der eben da seinen Führungsnachwuchs für sein Herzogtum, für sein Land ausbilden wollte. Der war ansonsten ein ziemlich… ja, also wenig freiheitlicher, sehr oligarchisch, aristokratisch im Sinne von dünkelhaft und abgehoben in seiner Einstellung war, der seine Landeskinder auch durchaus mehr als Eigentum betrachtet hat. Das haben damals zwar nicht nur er, das haben viele adelige Landesherren gemacht, Aber dieser Herzog von Württemberg, der war Karl Eugen, der war schon ganz besonders hoch. Und Schiller hat aber auf dieser Schule trotzdem eine sehr gute Ausbildung bekommen. Auch eine klassische Ausbildung, also Griechisch, Latein, Mathematik, Geometrie, Dichtkunst, alles Mögliche, was so dazugehört zu diesem klassischen Kanon.
Und das hat ihn dann geprägt. Und er hatte von zu Hause auch schon einiges mitbekommen. Sein Vater war auch Arzt. Jedenfalls hat er dann begonnen, schon als Student auch dichterisch zu arbeiten. Er hat unter anderem eben auch die Räuber verfasst, als er noch in Diensten des Herzogs von Württemberg stand und ist dann ja auch zur Premiere der Räuber nach Mannheim abgerückt, ohne Erlaubnis. Und das hat dann dazu geführt, dass er in den Bau gesteckt worden ist und im Zweifelsfall auch
SO: Was heisst “in den Bau gesteckt”? War er im Gefängnis?
Ja, er ist dann in Strafhaft genommen worden für unerlaubtes Entfernen von der Truppe, aber wohl auch ein Stück weit für seine kritischen Texte, die er geschrieben hat. Denn, das war noch ein anderer Punkt: es gab damals einen weiteren Dichter in Stuttgart, Schubart heißt der. Und der hat tatsächlich auch sehr, sehr ätzende Kritik am Landesherrn geübt. Er ist dafür zehn Jahre in Haft gekommen und durfte auch nicht mehr künstlerisch arbeiten. Und dieses Schicksal fürchtete Schiller auch. Er hat tatsächlich auch Verbot hinterbekommen von seinem Landesherrn, dass er nicht mehr schreiben sollte, sondern nur noch sich als Mediziner betätigen sollte. Jedenfalls, das war dann... Der Hintergrund zum Menschenschiller und der ist dann tatsächlich geflohen.

UA: [Schiller] hat also Württemberg verlassen. Deutschland war ja damals noch ein Vielfürstentümerstaat. Das heißt, es gab viele, viele kleine, selbstständige Fürstentümer, wo die Landesherren eigene Gesetze gemacht haben. Und eben zwischen Württemberg und Baden, Mannheim war [damals] Baden, war dann schon eine Grenze. Und über diese Grenze ist er geflohen und dann von dort aus hinterher auch weiter nach Leipzig unter anderem geflohen. Und dann nach Jena und Weimar später ja auch. Und das ist das, was Schillers Geschichte ist, also diese Flucht auch, diese unbedingte Hingabe an die Kunst, an das Dichten, an die Arbeit mit Sprache, aber nicht nur mit Sprache, sondern er hat eben auch sehr viel philosophisch gearbeitet, gedacht, geschrieben und auch historisch.
Er war eben dann zwischendurch auch Historiker, in Jena an der Universität und hat dann da eben auch über das Thema Geschichte, was ist Geschichte, warum lernen wir Geschichte, was können wir daraus lernen. Und darüber hat er auch nicht nur nachgedacht, sondern eben auch dann junge Studenten ausgebildet.
SO: Uwe, bevor ich näher auf die 27 Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen eingehe, habe ich noch eine Frage: Ich habe irgendwo gelesen, dass die Briefe das Fundament der Weimarer Klassik waren. Was bedeutet das? Schiller, hat er in der Zeit der Weimarer Klassik gelebt?
UA: Ja, also das hat er, nicht nur das, sondern er hat sie mitbegründet. Er und Goethe stehen ja auch als Denkmal vor dem Nationaltheater in Weimar verewigt, in Stein gehauen, und nach ihnen im Wesentlichen ist die Weimarer Klassik benannt, aber sie waren nur führende Köpfe, das war eine größere Bewegung. Da waren viele, viele Intellektuelle, Dichter, Wissenschaftler beteiligt, unter anderem eben auch die Humboldt-Brüder, insbesondere Wilhelm von Humboldt, Herder und viele, viele andere bekannte, mehr oder weniger bekannte Dichter, die haben damals in dieser Klassik, in dieser Periode, zusammengearbeitet. Und Weimar eben, weil das das Herz war, da war Goethe Minister. Goethe hatte schon eine Stellung in der Staatsverwaltung des dortigen Fürsten bekommen und hat dann eben auch die anderen mit rübergeholt, beziehungsweise dieses Netzwerk gemeinsam mit Schiller dann auch gesponnen. Schiller war der Herausgeber von zwei Zeitungen, Zeitschriften, gelehrten Zeitschriften, intellektuellen Blättern, einmal die Horen. Zeitschriften im Sinne, wie wir sie heute kennen. Ja, genau. Die haben regelmäßig, periodisch publiziert, aber eben nicht nur Schiller alleine, sondern da hat er mehrere Dichter, Philosophen, Denker aus ganz Deutschland eingeladen, Beiträge einzusenden und dann wurden die periodisch regelmäßig veröffentlicht, verkauft als Hefte. Und diese Hefte hießen eben einmal, das waren die Horen. Die Horen ist auch eine Anleihe an die Klassik, die griechische Klassik. Das zum Thema Weimarer Klassik. Es gab eben vorher auch eine griechische Klassik.
Die Weimarer Klassik beginnt um 1780 herum, 1790, 1800. Das ist die Zeit der Weimarer Klassik. Und ja, jedenfalls “die Horen” war das eine Blatt, und dann noch “Thalia”. Das war ein zweites Periodikum, das Schiller auch mit herausgegeben hat oder selbst herausgegeben hat. Und auch darin hat sich dieser Geist, diese intellektuelle Arbeit, diese künstlerische Arbeit, diese Übersetzung, Poesie, aber eben auch historische Texte, philosophische Texte, hat sich damals dann auch ausgedrückt.
SO: Also gab es historische wahre Begebenheiten, die der Anstoß waren, dass Schiller diese Briefe geschrieben hat?
UA: Der Anlass für die Briefe war wiederum was anderes, beziehungsweise ja mittelbar auch etwas Historisches, die französische Revolution nämlich. Aber die Briefe waren insofern rein philosophische Betrachtungen über das, was das Menschsein ausmacht.
SO: Wenn von Briefen gesprochen wird, handelt es sich dabei um richtige Briefe, die an jemanden adressiert waren? Oder für wen oder für was hat er die verfasst?
UA: Ja, es waren richtige Briefe insofern, dass Schiller ja permanent auf der Flucht im Wesentlichen war. Zumindest insoweit auf der Flucht war, dass er um seine Existenz immer kämpfen musste. Er war zwar durch Goethes Hilfe eben Professor geworden in Jena, also auch an der Landesuniversität im Fürstentum in Weimar. Aber das war eine unbezahlte Stelle.
Das heißt, die Studenten haben natürlich ihren Professor bezahlt. Das war damals so üblich, dass die Studenten dort, wo sie hörten, auch einen Obolus entrichtet haben. Aber es gab eben keine Besoldung vom Landesherrn, wie das bei anderenProfessoren, bei ordentlichen Professoren der Fall war. Das hatte Schiller nicht. Er hatte lediglich den Titel und damit das Renommee, aber er musste dann schon selber sehen, wo er bleibt. Und insofern war er eben Zeit seines Lebens auf der Flucht. Und er hatte dann immer wieder auch andere Gönner.
Und einer dieser Gönner war der Herzog von Schleswig-Holstein-Augustenburg. Und der hat ihm Geld gegeben, ein Stipendium über mehrere Jahre, drei Jahre glaube ich waren es. Und im Gegenzug hat dafür Schiller ihm einen Teil seines Werkes gewidmet. Also er hat in diesem Fall dann die Briefe, die Texte über die ästhetische Erziehung, das war ihm ein wichtiges Thema. Das Thema war damals insgesamt wichtig, aber er hat es nochmal ganz besonders aufgenommen, ausgehend von Überlegungen, die auch Immanuel Kant hatte. Moses Mendelssohn hat vorher schon über Ästhetik nachgedacht, viele, viele, weil eben das gute, schöne Ware eben dieser Inbegriff auch des Göttlichen, des Erhabenen ist. Und Schiller hat dann eben diese Briefe geschrieben, also sprich den Text, seine Gedanken dazu in Form von Briefen verfasst und die dem Herzog geschickt. Deswegen heißt es “Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen”.

Und diese Reihe umfasst insgesamt 27 Briefe. Die sind dann verloren gegangen hinterher. Also beim Herzog, da gab es einen Brand auf dem Schloss. Und dann hat Schiller sie noch einmal 1794 dann noch einmal verfasst aus seinen Aufzeichnungen heraus und sie dann 1795 in den Horen veröffentlicht.
SO: Uwe, herzlichen Dank für diese ersten Ausführungen über die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen.
SO: Liebe Hörerinnen und Hörer von US Radio 104,8, zurück bei Radio IBYKUS spricht Siggi Ober-Grefenkämper weiter mit Uwe Alschner über Schiller, im Speziellen über die Briefe namens »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«. Uwe Schiller schreibt in seinem zweiten Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen:
“Ist es nicht wenigstens außer der Zeit, sich nach einem Gesetzbuch für die ästhetische Welt umzusehen, da der philosophische Untersuchungsgeist durch die Zeitumstände so nachdrücklich aufgefordert wird, sich mit dem Vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren politischen Freiheit zu beschäftigen? Erwartungsvoll sind die Blicke des Philosophen wie des Weltmanns auf den politischen Schauplatz geheftet, wo jetzt, wie man glaubt, das große Schicksal der Menschheit verhandelt wird. Verrät es nicht, eine tadelnswerte Gleichgültigkeit gegen das Wohl der Gesellschaft, dieses allgemeine Gespräch nicht zu teilen? Dass ich dieser reizenden Versuchung widerstehe und die Schönheit der Freiheit vorangehen lasse, glaube ich nicht bloß mit meiner Neigung entschuldigen, sondern durch Grundsätze rechtfertigen zu können. Ich hoffe, Sie zu überzeugen, dass man, um jenes politische Problem in der Erfahrung zu lösen, durch das Ästhetische den Weg nehmen muss, weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert.”
Uwe, du hast ja gerade schon im ersten Block erzählt, dass dieser Satz dich sehr geprägt hat. Ich habe aber noch nicht vollends verstanden, wie ich durch die Schönheit zur Freiheit gelangen kann. Da Schiller doch in einer Zeit lebte, wie wir gerade auch schon festgestellt haben, wo durchaus politische Debatten ihn umgeben haben. Was will er uns mit diesem für mich auch wunderschönen Text sagen oder vor Augen halten? Und wo kann ich eine Übersetzung in die Gegenwart finden?
UA: Also insofern, Sigi, muss ich dich jetzt ein bisschen bremsen. Du bist erst im zweiten Brief.
SO: Ja, genau. Aber mich hat es einfach so angesprochen, dass ich jetzt frank und frei dir diese Fragen stelle, weil ich, ja, also ich bin angefixt.
UA: Ja, also wie gesagt, diese Briefe sind ja auch chronologisch aufgebaut. Das heißt, sie sind in einer ganz bestimmten Abfolge, erster Brief, zweiter Brief, dritter Brief und so weiter, verfasst worden. Das heißt, der eine Brief baut auch auf den vorherigen auf. Und insofern ist das, was du zitiert hast, ist ja die Herleitung, weshalb Schiller... Den Leser, in dem Fall den Herzog, als unmittelbaren Empfänger des Briefes, aber natürlich die insgesamt die Leserschaft, die sich damals in der Tat mit “viel wichtigeren Fragen beschäftigen musste”... Der eine oder andere Hörer oder die eine oder andere Hörerin wird sich jetzt auch fragen: “Was machen die da eigentlich? Also die Wirtschaft schmiert ab und politisch ist es auch unruhiger als seit vielen, vielen Jahren. Wie kommen die jetzt dazu, sich über Kunst und Klassik zu unterhalten? Das ist doch alles ein bisschen sehr weit hergeholt, sehr... “schön”, in Anführungszeichen, aber dann doch wohl eher entbehrlich.”
Und das ist der Punkt, den Schiller sofort aufgreift, indem er nämlich sagt, das ist ja kein eitler Zeitvertreib! Ich produziere mich hier nicht, indem ich einfach nur mal was Belangloses in die Welt hinaus formuliere, was die Welt eigentlich nicht braucht. Wenngleich natürlich aktuell, das war damals eben, die Briefe sind 1793, 1794 verfasst worden, also die hohe Zeit der französischen Revolution, die war schon dabei zu entgleisen.
SO: Das war in welchem Jahr?
UA: Also die französische Revolution hat 1789 begonnen, aber insofern waren das jetzt schon vier Jahre. Der König war gerade geköpft worden. Es herrschten die Jakobiner in Paris und Robespierre, Danton und so. Terror, Herrschaft des Schreckens, viele, viele Menschen wurden enthauptet. Und die ganze... Anführungszeichen Welt damals, also sprich ganz Europa oder zumindest ganz Deutschland oder die intellektuellen Kreise, haben natürlich in ihren Salons, in ihren Briefen, die sie sich miteinander geschrieben haben, darüber lebhaft diskutiert, was da überhaupt passiert. Das eine war ja erst einmal generell die Anmaßung, für die damalige Zeit, dass sich eine Bevölkerung erhebt gegen einen von Gott scheinbar doch “von Gott gesandten Landesherrn”.
SO: Der sogenannte Pöbel, wie man das nennt.
UA: Zumindest das gemeine Volk. Im Gegensatz zum Adel. Der Adel beruft sich darauf, dass er Nobel, Edel sei, davon kommt das Wort auch immer, Edel/Adel, dass diesen Adel etwas auszeichnet und zwar: Geburt. Man wird in den Adelstand hineingehoben. Ja, erhoben manchmal. Am Anfang ist ein König, ein Fürst sowas, der einen Menschen, dann einen gewöhnlichen Bürgerlichen in den Adelstand erhebt für besondere Verdienste. Das gibt es ja heute auch noch. Man liest das immer wieder in der Yellow Press. “Der König Charles hat wieder irgendjemanden zum Ritter geschlagen”. Davon machen wir immer noch ein großes Aufheben.
Allerdings ist das tatsächlich für das System dieser Monarchie auch heute noch erheblich. weil damit tatsächlich Ansprüche, Rechte und so weiter verbunden wurden. Das war damals noch viel krasser.
So, und das gemeine Volk hatte sich gegen den Landesherren damals in Frankreich erhoben. Das war nicht das erste Mal. Es gab ja kurz vorher die amerikanische Revolution.
Die war auch schon erfolgt und die hatte damals dann auch schon ihren vorübergehenden Abschluss gefunden durch den Friedensschluss zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika, die ganz neu gegründet wurden, 1776, also inzwischen jetzt bald 250 Jahre her. Aber 1775, genau vor 250 Jahren, haben dort die Kämpfe, die militärischen Auseinandersetzungen der Kolonien gegen die britische Kolonialherrschaft begonnen, die Schlachten von Concord und Lexington, Und das ist jetzt eben 250 Jahre her.
Die waren damals noch relativ frisch in Erinnerung, aber es war ein erfolgreicher “Kampf” einer Republik. Und es gab dann trotzdem Menschen, die das ungeheuerlich fanden, insbesondere eben der Adel oder der Hochadel, der auch fürchten musste, dass sozusagen an seiner Macht, die sich ja auf Gott berufen hat, also an seiner Herrschaft auch gesägt und gezweifelt wird. Dass daran so gezweifelt wurde, hat ja vor allen Dingen — das war auch in Amerika eben so —damit zu tun, dass sich diese Herrscher damals teilweise wirklich extrem krass absolutistisch verhalten haben. Also jeder hat das vielleicht noch aus der Schule in Erinnerung. Ludwig XIV soll ja auch so ein Beispiel gewesen sein, der Sonnenkönig in Frankreich, “l'État c'est moi”, also ‘der Staat, das bin ich’. Da wird durchaus auch das eine oder andere an Fehldeutungen mit hineingebracht. Ludwig XIV. war tatsächlich ein absolutistischer Herrscher, allerdings durchaus vielschichtiger, als man ihn heute darstellt. Ludwig XVI., der dann in Frankreich letztendlich geköpft wurde, er war auch nicht die Dumpfbacke, für die er gehalten wurde. Im Gegenteil, er hat sich ja auf diesen Reformprozess eingelassen. Am Anfang war es nur eine Reform und keine Revolution. Also in Frankreich wurde debattiert, die Generalstände haben sich formiert und haben dann... den König überzeugt, eine Verfassung zu akzeptieren, die seine absolute Macht auf eine begründete, juristisch einklagbare Verfassung stützt.
Und das war die Zeit. Insofern waren dieses die Themen, die ganz Europa damals beschäftigt haben. Vor allem die gelehrten Menschen, zu denen Schiller gehörte. Und er rechtfertigt sich jetzt hier. dass er trotzdem sich die Zeit nimmt und ein paar grundsätzliche Gedanken über die ästhetische Erziehung des Menschen verfasst. Warum? Wie kommt er dazu?
Und da sagt er eben: das ist entscheidend! Und er hofft dann, dass es ihm gelingen möge, er schreibt es im 2. Brief, er hofft, dass es ihm gelingen möge, bis zum Schluss seiner Ausführungen dann den Leser, sprich den Herzog, aber eben auch das Publikum insgesamt davon zu überzeugen, dass es tatsächlich richtig ist, was er in den Raum gestellt hat. Dass nämlich die wahre politische Freiheit darauf angewiesen ist, dass der Mensch zuerst, vorher ästhetisch voll ausgebildet worden ist, weil ohne diese Ästhetik hat der Mensch — und das nehme ich jetzt mal vorweg, das ist Schillers Behauptung oder Schillers These — hat der Mensch ein Ungleichgewicht in seinem Charakter, weil sich dieser Charakter, diese Persönlichkeit auf zwei unverzichtbare, aber miteinander latent in Konflikt stehende Eigenschaften oder Züge, Wesenszüge oder Triebe gründet: Das eine ist dann eben die Sinnlichkeit. Das ist dann der…
SO: Ein Trieb, den Schiller Sinnlichkeit nennt?
UA: Einen [Sachtrieb] und einen Formtrieb. Das ist das Zweite. Form, wiederum, kommt aus dem griechischen Eidos, die Idee. Das ist eigentlich die Form. Das ist der Formtrieb, der dem Ganzen einen Sinn, einen Zweck geben möchte, der Gesetze. Deswegen spricht er hinterher auch von Gesetzen. Es sind dann Gesetze, die der Formtrieb formuliert, weil es nach der Vernunft, nach dem Denken sozusagen entsteht. Aber die beiden stehen in Widerspruch miteinander.
SO: Also [Sach-] und Formtrieb.
Genau. Das Sinnliche sind die Gefühle, das, was der Mensch unmittelbar aus seiner Natur heraus schon mitbekommen hat. Und dann hat er daneben aber noch diese Begabung zum Denken und die beiden stehen miteinander zusammen, latent in Widerspruch, weil sich mal das eine, mal das andere mehr entwickelt und dann das eine, das andere dominiert. Und dieses Dominieren ist dann das, was zu den Problemen führt. Denn nur, wenn beide essentiellen Elemente des Menschen tatsächlich sich voll entwickelt haben, Also das heißt die Empfindsamkeit, das Fühlen, das Menschen sich voll entwickelt hat, dass ein Mensch eben nicht kaltherzig bleibt, sondern Mitgefühl empfinden kann, abstrahieren kann, sich in andere hineinversetzen kann und seine eigenen Gefühle auch kontrollieren kann. seine Wut, seine Begierde und alles das in der Lage ist, selbst zu zügeln, dann ist er tatsächlich auch in der Lage, von seinem Verstand den richtigen Gebrauch zu machen und umgekehrt genauso. Dieser Verstand ist nicht das Einzige.
Wenn man das zwar nicht hat, ist es Es ist schwierig, das menschliche Potenzial voll zu entfalten. Trotzdem ist es aber ein Mensch und insofern kommt es darauf an, dass dem Menschen diese Chance oder dieses Recht, was er nach Geburt hat, denn das ist wiederum dann der Unterschied zum Adel.
Schiller geht, ohne das so zu nennen, davon aus, dass der Mensch... so mit allen Anlagen des Göttlichen, so sagt er das auch, aber er meint das nicht im christlichen Sinne, [mit allen Anlagen] des Göttlichen geboren ist und dass es dann darauf ankommt, dass sich diese Anlagen im Laufe seines Lebens so entfalten, dass er das, was die Natur für ihn erst einmal schon geschaffen hat, nämlich dass er versorgt wird und so weiter, hinterher aus eigenen Stücken, aus der Vernunft heraus selber nachvollzieht, ohne dabei sinnlich, sprich von seiner Empfindung her, übermannt zu werden, also gierig zu werden, unehrlich zu werden, selbstverliebt zu werden, was auch immer. Das sind ja die emotionalen Komponenten.
Und darum geht es ihm, dass das die Voraussetzung dafür ist, dass man hinterher überhaupt ein gutes, vernünftiges, faires, gerechtes, freies Staatswesen überhaupt erst erschaffen kann, denn ansonsten baut sich das auf Dingen auf, die früher oder später an der einen oder anderen Stelle zu Konflikten führen werden und dann, wenn die Menschen nicht in der Lage sind, diese Konflikte vernünftig, menschlich zu lösen, Dann kommt es zu großen Tragödien, wie eben Schiller auch die französische Revolution, das Entarten der französischen Revolution als absolute Katastrophe empfunden hat. Er ist zwar von den Franzosen zum Ehrenbürger ernannt worden. Aber das hat ihn mehr erschreckt, insbesondere als dann hinterher der Terror sich voll da Bahn geschlagen hat.
Und das ist die Zeit, in der diese Briefe geschrieben sind. Und dagegen argumentiert er schon vorab, zu sagen: so, jetzt hört man erst mal zu. Oder lieber Herr Herzog, der du diese Briefe unmittelbar empfängst, nimm dir ein bisschen Zeit. Ich muss jetzt ein bisschen ausholen, um erst einmal zu zeigen, wie der Mensch ist von seiner Natur her, von seinen Anlagen her. Und dann, wie sich diese Idee, diesen Vernunftgedanken, das ist ja der andere Punkt, das ist die Aufklärung, die Zeit der Aufklärung. Immanuel Kant ist schon ein großer Name in Deutschland.
SO: Sag mal eben ganz kurz, was das bedeutet, die Zeit der Aufklärung.
UA: Ich sag gerade, Immanuel Kant ist schon ein großer Name, der ist ja heute auch noch ein großer Name, das heißt dieses Thema... ‘sapere aude’, erkühne dich, weise zu sein, dieses Ablegen von Vorurteilen, von Einbildung, von Aberglauben und die nüchterne gedankliche Kraft. Das ist die eigentliche Mode damals. Und er sagt, Schiller, letztendlich schon hier leicht verkleidet noch: ‘Leute, schüttet das Kind nicht mit dem Bade aus.’ Das war dann letztendlich auch einer der Punkte, den er mit Kant schon sehr, sehr unterschiedlich sah. Also das Thema Pflicht ist für Kant ganz wichtig und Schiller hat ganz klar gesagt, dass das viel zu kurz gedacht ist, dass der Mensch nicht nur seine Pflicht erfüllen muss, mit Zwang, sondern seine Pflicht erkennt und sie dann will. Mit dem Erhabenen, mit der Einsicht, also er will freiwillig, der voll ausgebildete Mensch, für den gibt es keine Pflicht dessen, was er muss, aber nicht will, sondern der Mensch ist das einzige Wesen, was will. Alles andere muss, so hat er es auch gesagt.
SO: Uwe, eine letzte Frage, kurze Frage in diesem Block. Das, was du gerade erzählt hast, kann dann Schiller als Kritiker seiner Zeit gesehen werden?
Auf jeden Fall kann er als Kritiker seiner Zeit gesehen werden, denn Kritik heißt ja erst einmal nur genau hinschauen und Unterschiede erkennen. Das ist das, was das Wort Kritik ja eigentlich bedeutet. Es ist ja nichts Negatives in dem Sinne, dass jemand, der kritisiert, schlecht macht, sondern im Gegenteil, der weist erst auf Unterschiede. Der vergleicht, der betrachtet das Ideal zum Beispiel auch und die Realität. Das ist auch ein ganz wichtiges Thema von Schiller. Das Ideal und das Leben heißt ja auch ein bekanntes, großes Gedicht von ihm. Und jedenfalls ist er sehr wohl ein Kritiker seiner Zeit, aber eben auch ein absoluter Menschenfreund. Ein tatsächlicher Weltbürgerschiller. Er war beseelt von der Liebe zur Menschlichkeit, von der Liebe zum Mitgeschöpf, von der wunderbaren Kraft, die in diesem Leben, insbesondere als Mensch, mit diesen Anlagen, die ihn mit dem Göttlichen verbinden, sprich die Seele, das dass die Fähigkeit zu schöpferischer Tätigkeit, die Fähigkeit, ein neues Level zu entdecken, die eigenen Geschicke und damit die Welt dann auch zu prägen. Aber, und dann sind wir wieder beim Thema: “ja, aber ist das denn gut, wenn man sieht, was auf der Welt alles an Unheil geschieht?” Ja, da würde Schiller dazu sagen, “ja, das liegt daran, dass wir uns nicht die Mühe gemacht haben, unsere jungen Menschen, uns selbst ästhetisch voll zur Entfaltung zu bringen.”
Wir haben unsere Seelen nicht veredelt, das ist der Begriff, den er dann verwendet. Und das ist sozusagen der Kernpunkt, weshalb ich auch so fasziniert bin von diesen Briefen zur ästhetischen Erziehung, weil ich glaube, dass es möglich ist und ich glaube auch, dass es notwendig ist, dass wir diesen speziellen Gedanken einmal den Glauben an das Göttliche im Menschen auch, [betrachten].
Das mag für den einen oder anderen im ersten Moment auch befremdlich klingen, aber ich glaube, das lässt sich sehr, sehr gut auch argumentieren. Also wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass wir Vernunftwesen sind, dann kann man darüber mit der Vernunft nachdenken. Das hat Schiller getan.
Man kann das aber eben nicht ohne auch einen Sinn für die Ästhetik zu haben, also wirklich für die Idee des Schönen, des Guten und des Wahren, anstatt alles nur für Zufall zu halten. Dafür ist auch die Welt viel zu schön, als dass das ein Zufall sei.
Wie viele Zufälle müssen zusammengekommen sein, um das so wunderbar zu machen, unabhängig von den Situationen, in denen auch Leid, Unglück und sonst was auftaucht. Das sind auch natürlich starke Fragen, die den Menschen immer beschäftigt haben, auch damals beschäftigt haben. Aber vom Grunde her ist es etwas, wo Schiller einfach tief überzeugt ist, und ich bin das heute auch, versuche das nachzuvollziehen. In der Tiefe, wie gesagt, ist mir das längst noch nicht gelungen. Aber im Grundsatz habe ich das schon verstanden, dass da etwas liegt, wo man echt hinschauen darf, soll und will. Ich jedenfalls will das!
SO: Uwe, danke für diese wirklich spannenden Informationen. Ich freue mich auf den nächsten Musiktitel. Danach sprechen wir weiter.
Liebe Hörschaft von OS-Radio 104,8, zurück bei Radio IBYKUS, spricht Siggi Ober-Grefenkämper weiter mit Uwe Alschner über die ästhetische Erziehung des Menschen, die Briefe von Friedrich Schiller. Das war zumindest Gegenstand in den letzten beiden Blöcken. Uwe, welche Frage mir wirklich auf der Seele brennt, ist... Im Zeitalter von Streamingdiensten und anderen Freizeitbeschäftigten zur Ableckung dürfte es doch schwierig sein, einen Menschen zu einer vermeintlichen, anstrengenden Beschäftigung mit der klassischen Kunst zu bringen. Welche Pro-Klassik-Argumente würdest du da anführen, um Menschen zu überzeugen oder, in Anführungsstrichen hört es vielleicht blöd an, aber “einen Bewusstseinswandel zu erwirken”? Warum sollte die klassische Kunst wiederbelebt werden?
UA: Also einmal, weil die klassische Kunst oder die Klassik insgesamt ist ja das Zeitlose, das Wahre. Und insofern ist das, was wir eingangs auch hatten mit dem Thema der Weimarer Klassik, die Weimarer Klassik unterscheidet sich natürlich in gewissen Fragen von der griechischen Klassik, von auch der chinesisch-konfuzianischen Klassik. Da gab es das auch.
Der Islam hat im Mittelalter, 12 bis 13. Jahrhundert, Persien, Rumi, Bagdad, die Häuser der Gelehrsamkeit, in denen sich die Welt damals, Chinesen, Europäer, Juden, Christen begegnet sind. Da gab es eben auch eine Klassik. Und bei allen ist es gemeinsam ein Kennzeichen, dass erstens das Naturrecht etwas ist, was einen ganz hohen Stellenwerk hat, also sprich die Annahme, dass das da draußen kein Zufall ist, sondern dass es Gesetze gibt, nach denen dieses Universum funktioniert. Wie diese Gesetze aussehen, das ist teilweise ein Rätsel, aber dass es die Gesetze gibt, dessen ist sich die Klassik sicher. Es ist also auf Naturrecht gegründet und dieses Naturrecht zum Beispiel ist dann auch einer der Punkte, an denen Konflikte mit Gegnern entstehen, zum Beispiel mit Solchen, die das Naturrecht nicht wollen. Und sei es, weil sie sich und ihresgleichen für besser, wichtiger, klüger, würdiger, sonst etwas halten als andere Menschen. Und dann kommt es da zu mehr oder weniger bemühten Rechtfertigungen dafür. Aber das ist jetzt mal so grob gesprochen das Verbindende.
Klassik ist in gewisser Weise auch das, was eben zeitlos ist. Deswegen heißt es ja auch, das ist eine klassische Form, ein klassisches Motiv, weil es zeitlos ästhetisch gültig ist. Es ist schön, es genügt bestimmten oder es entspricht bestimmten Kriterien der Schönheit. Auch das ist ein Thema, weil häufig gesagt wird: “Ja, aber naja, Schönheit ist schon was Individuelles, jeder hat seine eigene Schönheit.” Das ist in gewisser Weise wahr, insofern, dass wir eben unterschiedliche Herkunft haben, Betrachtung auch, eine ganz eigene Perspektive auf die Welt und insofern im Zweifelsfall das Thema von Angenehmes dann oft auch gleichsetzen mit dem Schönen. Aber das Schöne ist, und das sagt Schiller relativ klar, ist etwas, was aus der Vernunft heraus schon bestimmten Grundsätzen entspricht. Ich werde jetzt nicht den Fehler begehend versuchen, in vier Minuten das zu erklären, sondern das machen wir mal zu einem anderen Zeitpunkt. Insofern ist diese Klassik erstmal etwas, was nichts mit Christentum, nichts mit irgendwelchen Zeiten zu tun hat, sondern es hat etwas mit bestimmten Inhalten zu tun. Und es hat etwas mit einem Bewusstsein für eine sorgfältige Heranführung nachwachsender Generationen mit den Anforderungen der Zeit, mit den Anforderungen der Gesellschaft zu tun hat. Also eine sorgfältige Ausbildung der Menschen, die ist in der Klassik unverzichtbar, in jeder Klassik.
SO: Uwe, ein kleiner Tipp, was heißt ein kleiner Tipp, das ist wahrscheinlich ein großer Tipp. Wenn sich jemand diesen Zeilen überhaupt den Werken, Texten von Schiller widmet, ich habe ja auch bislang nur Fragmente gelesen, wie wäre deine Empfehlung vorzugehen, wenn jemand wirklich Interesse hat, sich damit zu beschäftigen und auch vor allen Dingen das zu verstehen im Lesen?
UA: Naja, sagen wir mal so, ich habe da auch meine Antwort insofern erst begonnen, weil das ist ein Aspekt dabei. Du hast gefragt, wie schafft man es, Interesse zu wecken? Das ist ja im Kern das, was dabei mitschwingt. Denn die Klassik wird nur dann einen Stellenwert bekommen, wenn die Menschen das nachvollziehen können, warum das wichtig ist, warum das schön ist und so weiter und so fort. Aber dazu gehört dann eben, wie gesagt, auch die Heranführung und die Ausbildung. Dazu gehören vielleicht auch solche Programme, wie wir sie machen, in denen dann einzelne Aspekte fallen, die die Menschen neugierig machen. So, nun sind wir keine Lehrer der Klassik, dazu sind wir selber auch noch viel zu ungebildet. Aber wir sind interessiert und wir beschäftigen uns damit. Wir heben auch keinen Absolutheitsanspruch, ich auch nicht, schon gar nicht. Aber es gibt eben durchaus auch nach wie vor, gibt es noch klassisch hochgebildete Institutionen, aber auch Personen. Und die muss man im Zweifelsfall nur finden.
Die sind vielleicht auch ein bisschen jetzt leise geworden, weil sie gemerkt haben, die Zeit, in der wir bisher jetzt die letzten paar Jahrzehnte vollbracht haben, die war nicht sehr freundlich zur Klassik. Und wie gesagt, das hat im Kern damit zu tun — und das ist dann wieder auch die Antwort auf die Frage, wie schwer ist es, für Schiller Interesse zu finden: wenn man versteht, in welcher Zeit Schiller damals gelebt hat, mit wem er es zu tun hatte, wer seine Gegner waren, gegen wen er auch angeschrieben hat. Und das war dann…, wir haben den Herzog von Württemberg schon erwähnt, Kabale und Liebe beispielsweise ist ein hochpolitisches Stück gewesen. Das ist doch das dritte Stück, was Schiller geschrieben hat, was sich aktuellen zeitgeschichtlichen Fragen damals widmete. Er hat damals über einen Fürsten geschrieben, oder Kabale und Liebe ist die Geschichte einer unerfüllten Liebe zwischen einer bürgerlichen und einem Adeligen, einem Offizier, Aber die spielt eben rund um den Hof eines Fürsten und der wiederum hat auch seine “zeitgemäßen” Lebensform, unter anderem auch eine Mätresse, die er mit allerlei Edelsteinen und sonst wie gefügig und geschmeidig gehalten hat, dass sie ihm also weiter auch ihre Zuneigung schenkt und vielleicht auch sonst noch ein paar Gefälligkeiten leistet. Und das hat Schiller eben dabei auch kritisiert, zum Beispiel, dass damals die deutschen Fürsten, viele deutsche Fürsten, ihre Landeskinder... also sprich ihre “Leibeigenen”, die sie so betrachtet haben, dazu verpflichtet haben. Die wurden eingezogen ins Militär und dann wurde dieses Militär, diese Söldner wurden dann verkauft, auch in den amerikanischen Bürgerkrieg hinein.
Und darum geht es auch bei Kabale und Liebe. Und dafür hat Schiller mächtig Gegenwind bekommen, weil das natürlich hochgesellschaftskritisch war.
Aber er hat natürlich zu Recht gefragt, was ist das für eine Welt, was ist das für ein König, der seine Pflicht, gut für die Untergebenen zu sorgen, so missachtet, indem er für körperliche und sonstige Genüsse, für ein paar Juwelen, die er nämlich von seinen Auftraggebern dann bekommen hat, denen er die Soldaten geliefert hat, seine Landeskinder in den Tod schickt, in den sicheren Tod. Denn die waren damals bei der, also die sind für die Briten in den amerikanischen Unabhängigkeitsgekrieg gezogen.
Die Hessen, das ist ja ein weiteres Thema, der Winter, der ein Sommer war, gibt es ja Auch ein bekanntes Buch und dann auch eine Verfilmung dazu. Ja, die sind verheizt worden, die sind in die erste Reihe gestellt worden, auf dass dann die Kolonialstreitkräfte ihr Pulver erstmal an denen verschießen und dann die Briten hofften, in der Zeit, wo die nachladen, ihren zweiten Schlag zu machen. Das heißt, das sind ganz zynische Zustände gewesen. Sind es immer im Militär, wenn Söldner eingesetzt werden, selbst wenn keine Söldner, sondern Berufsarmeen eingesetzt werden, ist das was, wo... es mit Menschlichkeit sehr wenig zu tun hat, jedenfalls in den allermeisten Fällen. Und dagegen hat Schiller geschrieben und dagegen hat er nie, dazu hat er nie geschwiegen, auch später nicht, als er die historischen Rahmen gewählt hat für Don Carlos, Infant von Spanien, oder für Wilhelm Tell oder Maria Stuart oder so etwas.
Da hat er dann Stücke in einen zeitlich nicht mehr so aktuellen Kontext versetzt. Das musste er aber auch nicht, weil er verstanden hat oder gelernt hatte, dass die Kunst eben gar nicht notwendigerweise explizit ansprechen muss, was schlecht ist, sondern über ihre Grundaussage, das Wahre in dem Prinzip zu zeigen, den Menschen zu rühren, dann notwendigerweise dazu führt, und das ist eben das Besondere an der Klassik:
Die Klassik entfaltet ihre Wirkung so oder so, man muss sich ihr nur vorbehaltlos, also unvoreingenommen öffnen. Dann wirkt das, was in der Klassik, also in der echten Klassik ist. Es gibt dann auch da, gibt es… Als das hinterher so populär wurde, hat man dann eben auch andere Strömungen geschaffen, in denen dann eben auch verwässert wurde.
Also das Thema Romantik. Schiller wird als romantischer Dichter beschrieben. Die Romantik ist etwas, wo es angeblich nur ums Gefühl geht. Nein, es geht eben in der Klassik nicht nur ums Gefühl, sondern es geht um die Verbindung zwischen Gefühl und Verstand! Und deswegen ist Schiller überhaupt kein Romantiker, sondern er ist allenfalls ein Ästhetiker, der auch Dinge ausdrücken kann, die rührend sind, die auch vielleicht sogar romantisch scheinen mögen, aber sie sind nicht in diesem Sinne romantisch, weil es ihm nicht um das Gefühl an sich ging, sondern es ging um die Veredelung des Gefühls, auf dass das Gefühl in die Lage kommt, Dinge zu tun, die der Verstand ansonsten gebieten würde.
Da sind wir wieder beim Thema mit Kant, mit der Pflicht. Das ist etwas, wo Schiller sagt: das kommt automatisch, wenn der Mensch ästhetisch gebildet ist, weil die Kunst, die Schönheit, ist in der Lage, sowohl die Empfindung wie auch den Verstand beide parallel zu entwickeln, zu einem neuen Level anzuheben, ohne dass es da zu Konflikten dann kommt.
SO: Das hast du wirklich klasse, klassisch übergebracht. Du merkst ja wohl, wie viel Stoff wir noch haben, alleine über Schiller zu sprechen. Und ich habe hier noch einen ganzen Fragenkatalog.
UA: Da werden wir auch noch mal eine Sendung machen müssen.
SO: Ja, die Zeit ist begrenzt. Vielleicht können wir noch ein bisschen Musik anspielen und uns dann verabschieden.
UA: So machen wir das.
UA: Und das war sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, hier bei Radio IBYKUS. Das war unsere fünfte Folge von Radio IBYKUS mit Siggi Ober-Grefenkämper und Uwe Alschner im Studio bei OS Radio 104,8. Wir kommen wieder, wenn Sie mögen, mit unserer sechsten Ausgabe am 5. Juni 2025, also am 1. Donnerstag im Juni. 5. Juni, 18.03 Uhr nach den Nachrichten.
Wir danken ganz herzlich Frank Paul, unserem Kollegen, für die die Bereitstellung der Playlist und den Schnitt dieser Sendung, herzlichen Dank lieber Frank! Wir danken auch den Kolleginnen und Kollegen von OS Radio 104,8 für die Bereitstellung des Sendeplatzes im Rahmen der Richtlinien des niedersächsischen Landesmediengesetzes.
Sie können diese Folge nachhören, überall dort wo Sie Podcasts finden, suchen Sie nach Radio Ibikus. Oder gehen Sie auf die Seite ganzmenschsein.substack.com. Ganzmenschsein in einem Wort. Substack, buchstabiert sich s-u-b-s-t-a-c-k.com. Dort gibt es eine Rubrik ‘Radio IBYKUS’ und auch dort finden Sie alle Ausgaben unseres Radioprogramms zum Nachhören.
Bitte bewerten Sie uns überall dort, wo Sie diese Sendung finden. Das hilft nämlich, den Algorithmus günstig zu stimmen. führt dazu, dass andere diese Inhalte leichter vorgeschlagen bekommen oder auch leichter finden. Ja, ansonsten bleibt uns nichts weiter als noch einmal ganz herzlich zu danken für Ihr Interesse an der Klassik. Bleiben Sie gesund, bleiben Sie gut gelaunt und der Klassik gewogen.
Auf bald, bis dann!
Share this post